Priscillians Vermächtnis auf dem Sternenweg: Der Sternenweg

Priscillians Vermächtnis auf dem Sternenweg - Der Ruf des Sueve.

530 Seiten, mit vielen Zeichnungen und Fotos (s/w), 4. aktualisierte Auflage 2022,
Auszug aus dem Kapitel "Der Sternenweg":

Der Sternenweg


 

Du hast am Himmel die Sternenstraße gesehen
und das bedeutet, dass du nach Gallaecia ziehen sollst,
und dass nach dir alle Völker, von Meer zu Meer wandernd, 
dorthin pilgern werden, bis zum Ende der Zeiten.
(Historia Karoli Magni et Rotholandi)

 

 

„Ich bin da“, schoss es mir durch den Kopf. Endlich angekommen am "Ende der Welt". Meine Jeans war zerbeult und abgetragen, die Wanderkappe hing mir tief im Gesicht. Es war ein strahlend schöner Sommermorgen, der Himmel tiefblau, der Blick so weit, dass die Krümmung der Erde zu erahnen war. Meine Finger umschlossen den Wanderstab, an diesem Tage ein etwas lang geratener, knorriger, gebogener, aber sehr angenehm in der Hand liegender Ast. Ich gehe gerne mit wechselnden Wanderstäben. Sie liegen überall herum. Am Wegesrand oder in den Wäldern findet sich immer ein geeigneter Stock. Die Eukalyptusstäbe sind federnd, kerzengerade und schlank. Manchmal nehme ich auch die, doch die knorrigen dickeren, gebogenen, mit einer kleinen Windung in Handhöhe, das sind die besten.


Ganz langsam, mit bedächtigen kleinen Schritten, näherte ich mich dem Endpunkt des Jakobsweges in Finisterre. Ich genoss jeden einzelnen Schritt wie niemals zuvor. Mit schweren Rucksäcken beladene Pilger zogen an mir vorüber. Da hingen Töpfe, gebrauchte Socken und eine übergroße Jakobsmuschel, an Schnüren angebunden winkten sie mir zu. 


Ein anscheinend aus dem Mittelalter herbeigezauberter Gaukler am Straßenrand machte seine neckischen Spiele. Plötzlich hörte ich ganz in meiner Nähe ein herzerfüllendes Lachen. Ich schaute mich um. Es war meine Tochter, mit der ich den Weg gemeinsam gegangen war. Ihr Lachen war ansteckend. Ich lachte ebenso, aus tiefstem Herzen. Ein Gefühl der vollkommenen Freude durchdrang meinen Körper und meine Seele.


Als ich mich nach dem Grund ihres nicht enden wollenden Lachens erkundigen wollte, wurde es mir auch ohne eine Antwort schlagartig klar. Das war eine sehr skurrile Situation. Ein außenstehender Beobachter musste sogar den Eindruck haben, dass wir Jakobspilger sein könnten, dass wir nach einer langen Pilgerreise auf dem Jakobsweg nun das ersehnte Ziel erreicht hatten, nach beschwerlichen Tagen und Nächten voller Entbehrungen, Blasen an den Füßen, nach vielen Abenteuern und Erkenntnissen, gestartet Wochen zuvor, die Pyrenäen überwunden, das kantabrische Gebirge durchpilgert, von Herberge zu Herberge, stinkende Socken ertragen, auch das Kommen und Gehen in den oft überfüllten Pilgerherbergen, ohne Ruhe, weil manch ein Pilger die Nacht durchschnarcht und dann früh am Morgen der Erste auf der Piste sein möchte und mit lautem Getöse die Pilgergeschwister weckt. Wer uns für Jakobspilger hielt, der lag kräftig daneben. Unser Auto stand nur ein paar Ecken weiter und wir hatten gerade königlich gefrühstückt, an einem nahegelegenen Campingplatz in traumhafter Lage.


Erst viel später sollte sich herausstellen, dass dieser Besuch am Cabo Finisterre der Anfang einer Reise auf dem Sternenweg war, die sich zu einem meiner größten Abenteuer entwickeln sollte. Ich interessierte mich fortan noch mehr für den Sternenweg, für seine Ursprünge und die Faszination, die von diesem Pilgerweg ausgeht. Zurückblickend kann ich sagen: Das nun vor Ihnen liegende Buch ist letztlich auf diesen Tag am "Ende der Welt" zurückzuführen. Hier nahm es seinen Anfang. 


Meine Reise führte mich zunächst zu den Anfängen des Jakobsweges. Ich wollte genau wissen, was es mit dem Jakobsweg auf sich hat, wie er entstanden ist und warum sich so viele Menschen aus ganz Europa auf diesen Weg begeben:

 

...

 

Druckversion | Sitemap
© Ralf Pochadt