In den Jahren 2010 und 2016 kam es zu neuen archäologischen Funden in der Heimat des Pelayo am Südhang der Sierra del Sueve.
In der Ortschaft San Román, Argandenes (Piloña) wurden im Jahre 2010 Erdarbeiten für einen Wasserspeicher durchgeführt. Dies war der Auslöser für einen Erdrutsch ganz in der Nähe der Baustelle.
El Sueve gab ein mehr als tausend Jahre gehütetes Geheimnis preis: Die Nekropole von Argandenes.
Anhand der Grabbeigaben war den Archäologen sofort klar, dass hier Angehörige einer Elite mit hohem sozialen Status beigesetzt worden waren, die im 5. bis 8. Jahrhundert in Argandenes gelebt haben müssen. Das Erstaunliche: Die Identität dieser Menschen war verbunden mit germanischen Traditionen.
Die Archäologen fanden kunstvoll verzierte Broschen, reich verzierte Armbänder, Ringe, Messer, Gürtelschnallen und andere kunsthandwerkliche Gegenstände, die der Typologie „westgotisch" oder „germanisch“ entsprechen. In einem imposanten Grabhaus wurden die Überreste einer Frau gefunden, deren Grabbeigaben auf germanische Traditionen am Ende des 5. oder Anfang des 6. Jahrhunderts hindeuten, also auf die Zeit, in der die Sierra del Sueve dem Königreich der Sueven angehörte.
2013 wurden die ersten Fundstücke aus Argandenes in einer eigens gestalteten Vitrine im archäologischen Museum von Oviedo ausgestellt. Das Archäologenteam um Rogelio Estrada García erläuterte aus diesem Anlass die ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Interpretationen dieses außergewöhnlichen Fundes.
Germanische Traditionen konnten in der Sierra del Sueve des 5. und frühen 6. Jahrhunderts allenfalls auf die Sueven und später auf die suevisch-gotische Herrschaft in dieser Region zurückgehen. Doch im Gegensatz dazu standen die Befunde von Historikern, wonach das suevische Königreich unbedeutend und ohne Folgen für die historische Entwicklung Asturiens geblieben sein soll. Auch die Präsenz der Westgoten in der Region der Sierra del Sueve soll minimal gewesen sein. Die sporadischen archäologischen Funde, die bereits zuvor auf germanische Traditionen hindeuteten, wurden dann auch folgerichtig als Zufallsfunde außerhalb des historischen Kontextes angesehen.
Doch in der jüngsten Vergangenheit waren bereits Zweifel an dieser Interpretation der archäologischen Funde aufgekommen. Im Jahre 2010 veröffentlichte José Avelino Gutiérrez González, Professor für Archäologie an der Universität Oviedo, einen bahnbrechenden Artikel zur Notwendigkeit der Neuinterpretation archäologischer Funde in Asturien, die der spätrömischen, suevischen und westgotischen Zeit zugeordnet werden können. Demnach handelt es sich bei den Funden mit Hinweisen auf germanische Traditionen keineswegs um Zufallsfunde außerhalb des historischen Kontextes. Es bestehe vielmehr die Notwendigkeit, den historischen Kontext neu zu bewerten.
José Avelino Gutiérrez González hebt hervor, dass zwar an mehreren Orten in Asturien Gegenstände aus der Spätantike gefunden worden sind, die der Typologie „westgotisch" oder „germanisch“ entsprechen, doch waren diese Funde bisher nicht Gegenstand einer Neubewertung und Neuinterpretation in Bezug auf die Möglichkeit der Existenz und des Einflusses germanischer Völkergemeinschaften in der Region und im Hinblick auf Veränderungsprozesse in der Elite der lokalen Gesellschaft.
Die verbreitete Auffassung von einer geringen oder gar keinen Präsenz germanischer Völkergemeinschaften in der Region beeinträchtigte bisher die Öffnung für eine Neuinterpretation der archäologischen Funde und für die Neubewertung ihrer wertvollen sozio-politischen Informationen. Auch ist es heute an der Zeit, die Geschichte der Sueven in der Region der Sierra del Sueve neu zu schreiben.
Die Neubewertung in der Gesamtschau archäologischer Funde lässt heute die folgenden Schlüsse zu:
- Nach der Gründung des Königreichs der Sueven ab dem 5. Jahrhundert vollzog sich im Gebiet des heutigen Asturien ein tiefgreifender sozialer, kultureller und ökonomischer Wandel. Neue Eliten bildeten sich heraus, für die germanische Traditionen von fundamentaler Bedeutung waren, sowohl zu Lebzeiten wie auch als Grabbeigaben.
- Zu den archäologischen Funden in germanischer Tradition zählen suevische und gotische Münzen, liturgische Krüge, Speerspitzen, Äxte, Dolche und Messer, Schwerter, Gewandnadeln, silberne Anstecknadeln, Armbänder, Halsketten, Bernsteinketten, Gürtelschnallen und Keramik.
- In der Grenzregion des Königreichs der Sueven, also in der Region rund um die Sierra del Sueve, sind inzwischen eine ganze Reihe von archäologischen Fundorten bekannt, die auf germanische Traditionen hinweisen. Darunter das Mündungsgebiet der Ría de Villaviciosa und Valdediós, das Gebiet des ehemaligen römischen Hafens in La Isla (Colunga), das Tal des Río Piloña und die Gegend um Cangas de Onís.
- Im Tal des Río Piloña und in dem Gebiet um Cangas de Onís wurden liturgische Gefäße aus Bronze gefunden. Liturgische Krüge, die für das Taufritual eingesetzt wurden, waren auch in Privatbesitz und stellten offensichtlich ein Symbol für eine hohe soziale Stellung dar. Die Gefäße wurden als Grabbeigaben und auch in Höhlen entdeckt.
- An der Flussmündung der Ría de Villaviciosa, angrenzend an den Strand Playa de Rodiles, fand man eine Siedlung und ein Gräberfeld mit Funden in germanischer Tradition in den Gräbern von Menschen, die eine hohe soziale Stellung innehatten (Necrópolis de San Llorente).
- Anhand der spezifischen Charakteristika der Funde in Rodiles und anderer Fundstellen konnte nachgewiesen werden, dass es sich dabei offenbar nicht um westgotische Ansiedlungen gehandelt haben kann, wie sie aus anderen Teilen Spaniens gut bekannt sind. Vermutet wird vielmehr, dass die neue lokale Aristokratie germanische Traditionen als Teil ihrer Identität angenommen hatte, und das bereits zur Zeit des Königreichs der Sueven.
- Eine Neubewertung des historischen Kontextes aufgrund der bisher bekannten archäologischen Funde muss also in Erwägung ziehen, dass die Region der Sierra del Sueve ab der Gründung des Königreichs der Sueven im 5. Jahrhundert bis hinein in die Zeit des Königreichs von Asturien im 8. Jahrhundert zunächst in suevischer, später in suevisch-westgotischer Tradition stand und dass die soziale Identität der lokalen Aristokratie von diesen suevisch-westgotischen Traditionen geprägt war.
Die nun entdeckte Nekropole von Argandenes, mit dem imposanten Grabhaus einer Frau, mit Grabbeigaben in germanischer Tradition aus der Zeit des Königreichs der Sueven, scheint diese Befunde nun zu bestätigen. Im Jahre 2016 erfolgten erneute Ausgrabungen in der Nekropole von Argandenes. Was die Archäologen fanden, ist höchst beeindruckend: Ein Paar, ein Mann und eine Frau, in einem besonders großen und gut ausgestatteten Grab, Schmuck aus Bernstein, Glas, Gold und Silber, ein vergoldeter Gürtelaufsatz, eine Verzierung mit Mondsichelsymbolik und ein „Kreuz im Kranz“, ein germanisches Kurzsachs-Messer (Kurzsax), ein komplett erhaltenes Skelett einer Frau in einem besonders großzügig ausgelegten Grab. In Argandenes lebte offenbar nicht nur eine lokale aristokratische Gemeinschaft, sondern Menschen, die eine überregionale Bedeutung hatten. Das kann bedeuten, dass sie der Machtelite des Königreichs der Sueven angehörten, vielleicht auch der Königsfamilie der Sueven.
Die Fülle der Grabbeigaben in Argandenes ist erstaunlich, denn das Gräberfeld ist von Grabräubern heimgesucht worden und alles, was wertvoll erschien, wurde mitgenommen. Das war nicht so im Falle von 9 weiblichen Personen in Mérida, die mit dem suevischen Königshaus in Verbindung gebracht werden. Ab dem Jahr 440 befand sich der suevische Königssitz für einige Jahre in Mérida. Dort sind Gräber von jungen Frauen mit imposanten Grabbeigaben entdeckt worden. Sie werden "Las Princesas Bárbaras" oder "die suevischen Prinzessinnen" genannt. In einer Präsentation von Francisco Javier Heras Mora wird die Geschichte der Entdeckung der Gräber vorgestellt und in einer Reportage des spanischen Fernsehens aus dem Jahr 2022 wird über die Rekonstruktion ihrer Kleider mit prächtigem Schmuck berichtet.
Schon bald werden neue Forschungsergebnisse aufgrund der Funde in Argandenes, Mérida und anderswo erwartet, die mittels DNA-Analysen Auskunft geben sollen über die geografische Herkunft der
Vorfahren, den Grad der Verwandtschaft untereinander und mit anderen Personen, die in ähnlichen Nekropolen in Europa begraben wurden.